Gestaltungsmissbrauch bei Spekulationsgeschäft

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 23.04.2021 (IX R 8/20) dazu Stellung genommen, ob bei einem Spekulationsgeschäft ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten vorliegen kann.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die K erwarb das Grundstück A-Straße in B. Im folgenden Jahr übertrug K das Eigentum an ihrem Grundstück unentgeltlich jeweils zu hälftigem Miteigentum auf ihre beiden volljährigen Kinder. Diese verkauften am selben Tag an Z. Der Verkaufspreis war höher als der Kaufpreis der K und wurde je zur Hälfte an die Kinder ausgezahlt. Die Verkaufsverhandlungen mit Z waren allein von K geführt worden. In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr erklärte K keinen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft. Das Finanzamt sah in der Schenkung an die Kinder einen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO und rechnete den Veräußerungsgewinn der K zu. Einspruch und Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieben ohne Erfolg, der BFH folgte dem nicht.

Veräußerung im Sinne eines privaten Veräußerungsgeschäfts

K hat das Grundstück nicht veräußert, sondern es unentgeltlich im Wege der Schenkung auf ihre Kinder übertragen. Auch aus den Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung von Rechtsgeschäften zwischen nahestehenden Personen folgt keine Annahme einer unentgeltlichen Übertragung. Da K das Grundstück nicht veräußert hat, ist ihr auch kein Veräußerungsgewinn entstanden.

Kein Gestaltungsmissbrauch

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand der Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, das der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Anderenfalls entsteht gem. § 42 Abs. 1 Satz 3 AO der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs i.S.d. § 42 Abs. 2 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Unterfällt ein Sachverhalt einer Regelung gem. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, so bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach dieser Vorschrift. Daneben kommt die Annahme eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts und die daran anknüpfende Rechtsfolge in § 42 Abs. 1 Satz 3 AO grundsätzlich nicht in Betracht. Bei § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG handelt es sich um eine Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, und damit um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO.

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist für den Fall des unentgeltlichen Erwerbs dem Einzelrechtsnachfolger für die Zwecke der Vorschrift die Anschaffung oder die Überführung des Wirtschaftsguts in das Privatvermögen durch den Rechtsvorgänger zuzurechnen. Die Vorschrift regelt die Entstehung des Veräußerungsgewinns bei einem vorangegangenen unentgeltlichen Erwerb. Vom Rechtsvorgänger verwirklichte Besteuerungsmerkmale werden dem unentgeltlichen Rechtsnachfolger persönlich zugerechnet. Dies bewirkt, dass das private Veräußerungsgeschäft bei demjenigen besteuert wird, welcher die Veräußerung vorgenommen und den Veräußerungserlös tatsächlich erhalten hat. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG dient nach Ansicht des BFH somit seinem Sinn und Zweck der Verhinderung von Missbräuchen. Mit der Vorschrift soll verhindert werden, dass ein gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG steuerverstricktes Wirtschaftsgut durch unentgeltliche Übertragung mangels Veräußerung aus der Steuerverhaftung ausscheidet und beim Rechtsnachfolger mangels Anschaffung nicht steuerverstrickt wird bzw. im Fall der Entnahme mangels Anschaffung nicht in die Steuerverhaftung eintritt.

Denn § 23 Abs. 1 EStG setzt sowohl die Anschaffung als auch die Veräußerung des betroffenen Wirtschaftsguts voraus. Anschaffung ist indes (nur) der entgeltliche Erwerb eines Wirtschaftsguts. Veräußerung ist hingegen die entgeltliche Übertragung des zuvor angeschafften Wirtschaftsguts auf einen Dritten. Durch die unentgeltliche Übertragung auf einen Dritten könnte ohne die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG die Besteuerung als privates Veräußerungsgeschäft umgangen werden. Der BFH sieht sich bei dieser Auslegung durch die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt.

Anwendung auf den Besprechungsfall

Im Besprechungsfall ist für den BFH auch der Tatbestand gem. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. K und ihre Kinder haben mit der unentgeltlichen Übertragung des Grundstücks und der anschließenden Veräußerung genau die Voraussetzungen erfüllt, die mittels Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG zur Entstehung eines jeweils hälftigen Veräußerungsgewinns bei den Kindern führen. Besondere Umstände, welche zu einer anderen Einschätzung führen, sind für den BFH nicht ersichtlich. Insbesondere in diesem Fall liegt dann kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts vor. Denn die vertraglichen Regelungen zur Schenkung des Grundstücks an die Kinder sowie die Veräußerung des Grundstücks an Z enthielten keine unangemessenen Vereinbarungen. Die Kinder konnten über das geschenkte Grundstück nach der Übertragung frei verfügen und waren insbesondere nicht vertraglich gebunden, an den Erwerber zu veräußern, mit dem ausschließlich K zuvor Verkaufsverhandlungen geführt hatte. Die Kinder waren auch nicht verpflichtet, den Veräußerungserlös an ihre Mutter abzuführen. Zudem ist in der Folge der Übertragung an die Kinder das Entstehen eines steuerbaren Veräußerungsgewinns nicht vermieden und ein gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil nicht erzielt worden. Vielmehr ist der Veräußerungsgewinn gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bei den Kindern entstanden und auch dort zu erfassen. Ebenso führt der Umstand, dass der Veräußerungsgewinn bei den Kindern niedriger besteuert wird als bei K, nicht zur Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten.

Einem Steuerpflichtigen ist es nicht verwehrt, die rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine geringere steuerliche Belastung ergibt. Das Bestreben, Steuern zu sparen, macht für sich allein eine Gestaltung noch nicht unangemessen. Vorliegend ergibt sich ein „Steuervorteil“ allein daraus, dass die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks von Gesetzes wegen akzeptiert wird mit der Folge, dass ein Veräußerungsgewinn nicht vom Schenker, sondern vom Beschenkten nach dessen persönlichen Verhältnissen versteuert werden muss. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, hob der BFH das Urteil des FG auf und gab der Klage statt. Denn weder hat K den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht noch ist ihr die von den Kindern verwirklichte Veräußerung persönlich zurechenbar. Vielmehr haben die Kinder den Veräußerungsgewinn erzielt, so dass dieser bei ihnen jeweils hälftig steuerlich zu erfassen ist.

Praxishinweis

Der BFH hat seine Grundsätze zu Spekulationsgeschäften weiter konkretisiert: § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO. Damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grundsätzlich ausgeschlossen. Hat der Steuerpflichtige die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern. Der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen.

 

RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht

Rechtsprechung

  • BFH Urteil IX R 8/20 v. 23. 4. 2021