Steuerpflicht von Kapitalabfindungen für Renten aus Altersvorsorgeverträgen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in dem Urteil vom 06.11.2019 – X R 39/17 dazu Stellung genommen, inwiefern Kapitalabfindungen für Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen steuerpflichtig sind.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die Klägerin schloss mit einem Anbieter einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag, in welchem geregelt war, dass die Auszahlung ausschließlich in Form einer lebenslangen monatlichen Leibrente oder eines Auszahlungsplans mit monatlichen Teilraten und anschließender lebenslanger Teilkapitalverrentung möglich sein sollte. Circa zehn Jahre nach Vertragsschluss vereinbarte die Klägerin mit dem Anbieter, dass das vorhandene Altersvorsorgeguthaben aufgrund der geringen Höhe der auszuzahlenden laufenden Leistungen zu Beginn des folgenden Jahres in Form einer Einmalleistung auszuzahlen ist. Diese Vereinbarung beruht darauf, dass die Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente zu Beginn der Auszahlungsphase als unschädliche Verwendung anzusehen ist. Daher zahlte der Anbieter der Klägerin Anfang 2015 einen Betrag von rund 9.000 € aus. Dieser setzt sich aus Beiträgen der Klägerin und Zinsen, welche teilweise durch eine Altersvorsorgezulage oder den Sonderausgabenabzug gem. § 10a EStG gefördert worden sind, sowie geringen Eigenleistungen der Klägerin, die nicht gefördert worden sind, zusammen. Das Finanzamt besteuerte die Kapitalabfindung als „Leistung aus einem Altersvorsorgevertrag“ in vollem Umfang und in Höhe der nicht geförderten Zinsen ebenfalls in vollem Umfang. Der Restbetrag blieb unbesteuert, da dieser nicht gefördert worden war. Einspruch und Klage blieben erfolglos, der BFH folgte dem weitgehend.

Steuerpflicht der Kapitalabfindung

Der Teil der Abfindung, der auf Beträgen (Eigenleistungen sowie Zinsen) beruht, die durch eine Altersvorsorgezulage oder den Sonderausgabenabzug gem. § 10a EStG gefördert worden sind, ist steuerpflichtig. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Regelung, nach der u.a. „Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen“ zu den steuerpflichtigen sonstigen Einkünften gehören. Denn die Kapitalabfindung stellt eine Leistung aus dem von der Klägerin abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag dar. Dies gilt unabhängig davon, dass der Begriff des „Altersvorsorgevertrags“ dahingehend definiert wird, dass es sich um einen Vertrag handeln muss, welcher zertifiziert ist. Die Vertragsänderung, welche zwischen dem Anbieter und der Klägerin im Jahr 2014 vereinbart worden ist, wird von der Notwendigkeit einer Zertifizierung ausgenommen. Außerdem kann der BFH der gesetzlichen Systematik nicht entnehmen, dass allein eine solche Vertragsänderung dazu führen soll, dass sämtliche künftigen Auszahlungen aus diesem Vertrag nicht der Besteuerung unterworfen werden sollen. Die Anwendung dieses Besteuerungstatbestands entspricht ebenfalls dem Zweck dieser Norm. Sie setzt das System der „nachgelagerten Besteuerung“, welches seit 2005 sowohl der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen der Basisversorgung (erste Schicht des sog. Dreischichtenmodells) als auch der steuerlich geförderten freiwilligen privaten Altersvorsorge (zweite Schicht) zugrunde liegt, für den letztgenannten Sachbereich in positives Recht um.

Die Kapitalauszahlung führt hingegen zum endgültigen Wegfall der Zweckbindung, welche den Steueraufschub rechtfertigt. Das Kapital gelangt in die freie Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen, so dass die Auszahlung den letztmöglichen Anknüpfungspunkt für die nachgelagerte Besteuerung darstellt.

Die differenzierende gesetzliche Regelung ist systemgerecht: Eine Kapitalabfindung gem. § 93 Abs. 3 EStG stellt eine Leistung aus einem Altersvorsorgevertrag dar, welche im Einklang mit den hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen ausgezahlt wird. Die Klägerin darf daher die ihr in der Vergangenheit gewährte steuerliche Förderung behalten; im Gegenzug unterliegt die Auszahlung aus dem Altersvorsorgevertrag jedoch der nachgelagerten Besteuerung. Nach Ansicht des BFH ist es gleichermaßen systemgerecht, wenn das Gesetz in Fällen der schädlichen Verwendung die Rückforderung der in der Vergangenheit gewährten Zulagen und Steuervorteile vorsieht, dafür aber der verbleibende Auszahlungsbetrag nur in Höhe der Differenz zu den eingezahlten Beiträgen besteuert wird. Ergänzend weist der BFH darauf hin, dass die Kapitalabfindung und damit die Zuordnung zu einem bestimmten Besteuerungsregime auf einer freien Entscheidung der Klägerin beruht. Ohne die Vertragsänderung, an der sie aktiv und freiwillig mitgewirkt hat, wäre eine solche Kapitalabfindung von vornherein nicht zulässig gewesen. Auf die der Klägerin im Streitjahr 2015 zugeflossene Abfindung sind die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften für das Streitjahr anzuwenden, nicht aber die Regelungen des im Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Altersvorsorgevertrags (2003) geltenden EStG.

Anwendung des begünstigten Steuersatzes

Hinsichtlich der Frage, inwiefern die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Kapitalabfindung vorliegen, ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG ist im Streitjahr noch nicht anwendbar und hat für die früheren Zeiträume keine entscheidende Bedeutung. Auch hat das FG zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG verneint. Darüber hinaus hat es keine Feststellungen zu den Voraussetzungen gem. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG getroffen, so dass der Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen werden musste. Nach dieser Vorschrift kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Dafür ist entscheidend, inwieweit die Kapitalisierung laufender Rentenansprüche im Bereich der Altersvorsorgeverträge (§§ 82 ff. EStG) als atypisch anzusehen ist. Die hierzu erforderlichen Feststellungen hat das FG nicht getroffen, mithin nachzuholen.

Praxishinweis

Der BFH hat mit dieser Entscheidung für etwas Klarheit gesorgt: Die auf der Grundlage des § 93 Abs. 3 EStG förderunschädlich ausgezahlte Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente ist gem. § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang einkommensteuerpflichtig. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der Vertrag im Zeitpunkt der Auszahlung der Leistung noch zertifiziert ist. Es genügt in diesem Zusammenhang vielmehr, wenn für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. XI EStG, wozu auch die Zertifizierung zählt, vorgelegen haben. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Kapitalabfindungen von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen kann in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG nicht allein mit der Begründung bejaht werden, dass der ursprüngliche Altersvorsorgevertrag eine solche Kapitalisierungsmöglichkeit nicht vorgesehen hat.

RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht