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Erbschaft- und Schenkungsteuer: Maßgebende Steuerklasse beim Erwerb vom biologischen Vater

Bundesfinanzhof, II-R-5/17

Pressemitteilung vom 12.03.2020

Pressetext:

Erbt ein Kind von seinem biologischen Vater, findet auf das Erbe nicht die für Kinder günstige Steuerklasse I Anwendung, sondern es wird nach der Steuerklasse III besteuert. Dies hat der II. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Urteil vom 05.12.2019 entschieden. Dasselbe gilt, wenn der biologische Vater seinem Kind zu Lebzeiten eine Schenkung macht.

  • 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG sieht vor, dass auf Kinder und Stiefkinder die Steuerklasse I anzuwenden ist. In dieser Klasse fällt bei einem Erwerb bis 75.000 € eine Steuer in Höhe von 7 % an. In der Steuerklasse III sind dafür bereits 30 % Steuer zu zahlen. Besser kommen Kinder auch bei den Freibeträgen weg. Sie erhalten 400.000 €, bei Steuerklasse III hingegen lediglich 20.000 €.

Im Streitfall war der Kläger der leibliche, aber nicht der rechtliche Vater. Der Kläger war also der sog. biologische Vater seiner Tochter. Der rechtliche Vater war ein anderer Mann, mit dem die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes verheiratet war. Der Kläger schenkte seiner leiblichen Tochter 30.000 € und beantragte beim Finanzamt (FA) die Anwendung der günstigen Steuerklasse I. Das FA lehnte mit dem Hinweis ab, die Steuerklasse I finde nur im Verhältnis der Tochter zu ihrem rechtlichen Vater Anwendung. Rechtlicher Vater sei aber der Ehemann der Mutter und nicht der Kläger.

Das Finanzgericht gab dem Kläger Recht. Es gebe keinen Grund, die einschlägige Bestimmung des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG nach den zivilrechtlichen Regelungen eng auszulegen und nur den Erwerb vom rechtlichen Vater zu privilegieren.

Der BFH sah dies anders. Für die Steuerklasseneinteilung nach § 15 Abs. 1 ErbStG sind die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 1589 ff. BGB über die Abstammung und Verwandtschaft maßgebend. Diese unterscheiden zwischen dem rechtlichen Vater und dem biologischen Vater und akzeptieren, dass die rechtliche und die biologische Vaterschaft auseinanderfallen können. Nur der rechtliche Vater hat gegenüber dem Kind Pflichten, wie zum Beispiel zur Zahlung von Unterhalt. Außerdem ist das Kind nur gegenüber seinem rechtlichen, nicht aber seinem biologischen Vater erb- und pflichtteilsberechtigt. Dies rechtfertigt es, den rechtlichen Vater auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer finanziell besser zu stellen. Könnte ein Kind von seinem rechtlichen und zugleich von seinem biologischen Vater nach der Steuerklasse I erwerben, wäre dies schließlich eine Besserstellung gegenüber Kindern, die, wie in den allermeisten Fällen, nur „einen einzigen“ Vater haben und nur von diesem steuergünstig erwerben können.

Änderung der Rechtsprechung: Umorientierung schadet Kindergeldanspruch nicht

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 23.10.2019 (III R 14/18) entschieden, dass es nach Erlangung eines ersten Abschlusses erforderlich ist, zwischen einer einheitlichen Erstausbildung und einer berufsbegleitend ausgeführten Weiterbildung abzugrenzen. Unschädlich ist es dafür, wenn sich das volljährige Kind während seiner Ausbildung anders als geplant umorientiert, jedoch inhaltlich die Ausbildungsrichtung beibehält.

Sachlage im Streitfall

Nach Abschluss einer Banklehre nahm der Sohn des Klägers eine Vollzeitbeschäftigung bei der Bank auf. Weitergehend besuchte er eine Informationsveranstaltung eines Studiums an einem Bankkolleg und bewarb sich anschließend auf einen Studienplatz. Nach Verzögerung des Beginns des Studiengangs an dem Bankkolleg nahm der Sohn des Klägers stattdessen einen Onlinestudiengang in der Fachrichtung Betriebswirtschaftslehre im Wintersemester auf.

Der Kläger beantragte nach Aufnahme des Studiums erneut Kindergeld, was die Familienkasse jedoch ablehnte. Der gegen die Ablehnung gerichtete Einspruch wurde ebenfalls mit einer Einspruchsentscheidung zurückgewiesen.

Darüber hinaus lehnte auch das Finanzgericht (FG) die dagegen gerichtete Klage ab. Problematisch sah das FG die Umorientierung von dem zunächst angestrebten Studiengang an dem Bankkolleg zu dem Onlinestudiengang im Bereich der Betriebswirtschaftslehre an, da die Teilnahme an beiden Ausbildungsgängen nicht auf einem einheitlichen Beschluss beruhe und es sich durch den Wechsel nicht um eine nur unerhebliche Abweichung von dem geplanten Ausbildungsgang handele.

Der gegen das Urteil eingelegten Revision gab der BFH statt und hob das Urteil des FG auf.

Unschädliche Umorientierung innerhalb einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung

Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a i.V.m. §§ 62, 63 EStG besteht Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind im Alter zwischen 18 und 25 Jahren für einen Beruf ausgebildet wird. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Ein Ausbildungsverhältnis, ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis oder eine Erwerbstätigkeit von bis zu 20 Stunden ist dabei unschädlich.

Der BFH sieht folgende Begrenzungen für den Erstausbildungsbegriff gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG:

Mehrere Ausbildungsabschnitte können eine Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Zudem muss der weiterführende Abschluss ohne den Erstabschluss nicht erreicht werden können, und es muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass die Ausbildung nach Erlangen des ersten Abschlusses fortgeführt werden soll. Dem steht bereits entgegen, wenn für den weitergehenden Abschluss eine vorhergehende berufspraktische Tätigkeit Voraussetzung ist.

Im Streitfall war es nach dem Abschluss der ersten Berufsausbildung nach der Ansicht des BFH klar erkennbar, dass die Berufsausbildung fortgeführt werden soll. Der Sohn des Klägers hatte bereits vor Beendigung der Ausbildung an der Informationsveranstaltung teilgenommen und sich für den Studiengang beworben.

Dass der Studiengang an dem Bankkolleg letztendlich nicht zustande kam, hatte der Kläger oder der Sohn seines Klägers nicht zu vertreten. Es bleibt jedoch nach der Ansicht des BFH eindeutig, dass die Berufsausbildung nach dem Abschluss der Ausbildung nicht beendet werden sollte. Der erforderliche sachliche Zusammenhang zwischen Ausbildung und dem letztendlich aufgenommenen Studium ist jedoch nach wie vor gegeben.

Präzisierung des Erstausbildungsbegriffs

Der BFH präzisiert zudem seine bisherige Rechtsprechung hinsichtlich des Erstausbildungsbegriffs. Wird die Berufstätigkeit nach Abschluss einer Berufsausbildung, z.B. durch die Übernahme in ein Gesellenverhältnis beim Ausbildungsbetrieb oder die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis nach dem Abschluss eines Bachelorstudiums aufgenommen, spricht dies gegen eine einheitliche Erstausbildung, falls noch weitergehende Fortbildungsmaßnahmen parallel zu der bisherigen Berufstätigkeit ergriffen werden sollten.

Tritt die Berufstätigkeit in den Hintergrund und wird diese nur am Wochenende oder abends ausgeführt, kann weiterhin von einer Erstausbildung ausgegangen werden, auch wenn die Grenze von 20 wöchentlichen Arbeitsstunden geringfügig überschritten wird.

Der BFH hält in dieser Hinsicht nicht an seiner bisherigen Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 03.07.2014 – III R 52/13; BFH, Urt. v. 08.09.2016 – III R 27/15; BFH, Urt. v. 03.09.2015 – VI R 9/15) hinsichtlich der einheitlichen Erstausbildung bzgl. der begleitenden beruflichen Tätigkeit fest. Nach der bisherigen Rechtsprechung war es unerheblich, in welchem Umfang die Tätigkeit während des zweiten Abschnitts der Erstausbildung fortgesetzt wird, solange ein inhaltlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten besteht. Nach seinem jetzigen Urteil muss die Fortführung der Erstausbildung im Vordergrund stehen und die weitere berufliche Tätigkeit nach Art und Umfang der Tätigkeit in den Hintergrund treten.

Praxishinweis

Es sollte stets geprüft werden, ob bei der Berufsausbildung des Kindes noch eine einheitliche Erstausbildung vorliegt und ein Antrag auf die Auszahlung von Kindergeld erfolgsversprechend ist. Bereits vor Abschluss des ersten Ausbildungsabschnitts können hierfür Indizien z.B. durch den Besuch von Informationsveranstaltungen geschaffen werden, welche auch dokumentiert werden sollten. Eine Umorientierung innerhalb derselben Fachrichtung ist dabei nicht mehr schädlich, soweit der Wille zu der Fortführung der Ausbildung von vornherein bestand.

Betroffene Steuerpflichtige sollten sich bei einer Ablehnung des Antrags mit Verweis auf das BFH-Urteil gegen die Entscheidung der Kindergeldkasse wenden. Aufgrund der noch vielen offenen Verfahren insbesondere im Hinblick auf den Erstausbildungsbegriff kann sich auch ein Antrag auf Ruhen des Verfahrens bis zu einer endgültigen Klärung der Voraussetzungen lohnen.

 

Christian Kappelmann, Steuerberater und Diplom-Finanzwirt

Übergang der Steuerschuld nur bei Inlandsumsätzen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Urteil (v. 12.12.2019 – V R 20/18) dazu Stellung genommen, ob der Übergang der Steuerschuld (reverse charge) bei Umsätzen eines ausländischen Unternehmers lediglich erfolgen kann, wenn Inlandsumsätze erbracht werden.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die K, eine Kommanditgesellschaft dänischen Rechts, betreibt in einem Windpark im Inland eine Windkraftanlage und hat ihren Sitz in Dänemark. K lieferte Strom an die in Dänemark ansässige Gesellschaft O, mit der K einen Direktmarketingvertrag abgeschlossen hat. Nach diesem Vertrag erwarb die Firma O den von der Windkraftanlage produzierten Strom und veräußerte diesen auf Rechnung der K auf dem freien Markt. K beantragte die Erteilung einer Bescheinigung gem. § 13b Abs. 7 Satz 5 UStG, nach der sie inländische Unternehmerin sei. Das Finanzamt (FA) lehnte den Antrag ab, das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag statt. Der BFH sah dies zum Teil anders.

Voraussetzungen der Unternehmerbescheinigung nach dem UStG

Ist es zweifelhaft, inwiefern der Unternehmer die Voraussetzungen gem. § 13b Abs. 7 UStG erfüllt, schuldet der Leistungsempfänger die Steuer nur dann nicht, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des zuständigen FA nachweist, dass er kein im Ausland ansässiger Unternehmer ist. Hierfür kommt es insbesondere darauf an, ob der Unternehmer im Inland einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte hat. Zweifel, ob der leistende Unternehmer im Ausland ansässig ist, müssen sich nach Ansicht des BFH auf Umsätze beziehen, welche im Inland erbracht wurden. Ohne Inlandsumsatz besteht für den BFH kein sachliches Interesse an der Erteilung der Bescheinigung.

Entscheidung im Besprechungsfall

K lieferte den Strom an die Firma O und damit an ein in Dänemark ansässiges Unternehmen. Dieser Abnehmer handelte beim Weiterverkauf des Stroms auf Rechnung der K. Damit liegen sowohl im Verhältnis zwischen der K und O als auch zwischen dieser und den weiteren Abnehmern Lieferungen vor. Nach § 3g Abs. 1 Satz 1 UStG war dabei Ort der Lieferung durch K der Unternehmensort der O in Dänemark. Denn in Bezug auf die von der K erworbenen Gegenstände bestand die Haupttätigkeit der Firma O in der Lieferung des erworbenen Stroms. Daher bestehen auch keine Zweifel i.S.d. § 13b Abs. 7 Satz 5 UStG, so dass sich die Frage, über die das FG entschieden hat, nicht stellt. Daher hat der BFH die Klage abgewiesen.

Praxishinweis

Der BFH hat mit der Entscheidung zwei Fragen geklärt: Zweifel i.S.d. § 13b Abs. 7 Satz 5 UStG, ob der leistende Unternehmer im Ausland ansässig ist, müssen sich auf im Inland erbrachte Umsätze beziehen. Liefert der im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer Elektrizität, die er mit seiner Windkraftanlage im Inland hergestellt hat, unter den Bedingungen des § 3g Abs. 1 Satz 1 UStG an einen gleichfalls im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmer, befindet sich der Ort der Lieferung am Empfängerort im übrigen Gemeinschaftsgebiet. Von besonderem Interesse dürfte dabei vor allem die erste Aussage sein. Darauf sollten sich Unternehmer zukünftig einstellen, wenn sie eine entsprechende Unternehmerbescheinigung beantragen wollen.

 

RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht

Reguläre Anpassung der Renten im Beitrittsgebiet an das Westniveau

Die zusammen mit der „normalen“ Erhöhung der Renten erfolgende Angleichung der Renten im Beitrittsgebiet an das Westniveau stellt eine regelmäßige Rentenanpassung im Sinne des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 7 EStG dar. Sie kann daher nicht zu einer Neuberechnung des steuerfreien Teils der Altersrente (sog. Rentenfreibetrag) führen. Darin liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen den in den neuen Bundesländern gezahlten Altersrenten und den Altersrenten aus dem übrigen Bundesgebiet. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 03.12.2019 – X R 12/18 entschieden.

Im Streitfall bezogen der Kläger und seine verstorbene Ehefrau Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, berechnet nach dem aktuellen Rentenwert (Ost). Der Kläger war der Ansicht, dass die Anpassung des allgemeinen Rentenwertes (Ost) an das Westniveau zu einer Erhöhung des Rentenfreibetrages führen müsse, da er ansonsten zu niedrig sei. Sowohl das Finanzamt als Finanzgericht lehnten dies ab.

Der BFH sah das ebenso. Er wies darauf hin, dass reguläre Rentenerhöhungen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht zu einer Erhöhung des Rentenfreibetrags führen. Dies gelte nicht nur für die „normalen“ jährlichen Rentenerhöhungen, sondern auch für die Anpassung der in den neuen Bundesländern gezahlten Renten an das Westniveau. In beiden Fällen komme den regulären Rentenerhöhungen die soziale Funktion zu, die Stellung des Rentners im jeweiligen Lohngefüge zu erhalten und fortzuschreiben. Sie dynamisierten ähnlich einer Wertsicherungsklausel lediglich die Werthaltigkeit dieser Renten, im Fall der Anpassung des aktuellen Rentenwertes (Ost) bezogen auf das Lohngefüge des Beitrittsgebietes.

 

Zur Haftung für Kundenbewertungen bei Amazon

Der unter anderem für Ansprüche aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass den Anbieter eines auf der Online-Handelsplattform Amazon angebotenen Produkts für Bewertungen des Produkts durch Kunden grundsätzlich keine wettbewerbsrechtliche Haftung trifft.

Sachverhalt:

Der Kläger ist ein eingetragener Wettbewerbsverein. Die Beklagte vertreibt Kinesiologie-Tapes. Sie hat diese Produkte in der Vergangenheit damit beworben, dass sie zur Schmerzbehandlung geeignet seien, was jedoch medizinisch nicht gesichert nachweisbar ist. Die Beklagte hat deshalb am 4. November 2013 gegenüber dem Kläger eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Die Beklagte bietet ihre Produkte auch bei der Online-Handelsplattform Amazon an. Dort wird für jedes Produkt über die EAN (European Article Number) eine diesem Produkt zugewiesene ASIN (Amazon-Standard-Identifikationsnummer) generiert, die sicherstellen soll, dass beim Aufruf eines bestimmten Produkts die Angebote sämtlicher Anbieter dieses Produkts angezeigt werden. Käuferinnen und Käufer können bei Amazon die Produkte bewerten. Amazon weist eine solche Bewertung ohne nähere Prüfung dem unter der entsprechenden ASIN geführten Produkt zu. Das hat zur Folge, dass zu einem Artikel alle Kundenbewertungen angezeigt werden, die zu diesem – unter Umständen von mehreren Verkäufern angebotenen – Produkt abgegeben wurden.

Am 17. Januar 2017 bot die Beklagte bei Amazon Kinesiologie-Tapes an. Unter diesem Angebot waren Kundenrezensionen abrufbar, die unter anderem die Hinweise „schmerzlinderndes Tape!“, „This product is perfect for pain…“, „Schnell lässt der Schmerz nach“, „Linderung der Schmerzen ist spürbar“, „Die Schmerzen gehen durch das Bekleben weg“ und „Schmerzen lindern“ enthielten. Der Kläger forderte von der Beklagten die Zahlung einer Vertragsstrafe. Die Löschung der Kundenrezensionen lehnte Amazon auf Anfrage der Beklagten ab.

Der Kläger begehrt Unterlassung und Zahlung der Vertragsstrafe sowie der Abmahnkosten. Die Beklagte habe sich die Kundenrezensionen zu Eigen gemacht und hätte auf ihre Löschung hinwirken müssen. Falls dies nicht möglich sei, dürfe sie die Produkte bei Amazon nicht anbieten

Bisheriger Prozessverlauf:

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es bestehe kein Anspruch aus § 8 Abs. 1, § 3a* UWG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Zwar seien die in den Kundenrezensionen enthaltenen gesundheitsbezogenen Angaben irreführend. Sie stellten aber keine Werbung dar. Zumindest wäre eine solche Werbung der Beklagten nicht zuzurechnen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte für Kundenbewertungen der von ihr bei Amazon angebotenen Produkte keine wettbewerbsrechtliche Haftung trifft.

Ein Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt sich nicht aus der Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 und Satz 2 HWG, die Werbung für Medizinprodukte mit irreführenden Äußerungen Dritter verbietet. Die Kundenbewertungen sind zwar irreführende Äußerungen Dritter, weil die behauptete Schmerzlinderung durch Kinesiologie-Tapes medizinisch nicht gesichert nachweisbar ist. Die Beklagte hat mit den Kundenbewertungen aber nicht geworben. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat sie weder selbst aktiv mit den Bewertungen geworben oder diese veranlasst, noch hat sie sich die Kundenbewertungen zu eigen gemacht, indem sie die inhaltliche Verantwortung dafür übernommen hat. Die Kundenbewertungen sind vielmehr als solche gekennzeichnet, finden sich bei Amazon getrennt vom Angebot der Beklagten und werden von den Nutzerinnen und Nutzern nicht der Sphäre der Beklagten als Verkäuferin zugerechnet.

Die Beklagte traf auch keine Rechtspflicht, eine Irreführung durch die Kundenbewertungen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 2 Nr. 1 UWG zu verhindern. Durch ihr Angebot auf Amazon wird keine Garantenstellung begründet. Von ausschlaggebender Bedeutung ist dabei, dass Kundenbewertungssysteme auf Online-Marktplätzen gesellschaftlich erwünscht sind und verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Das Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehören, zu informieren oder auszutauschen, wird durch das Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Einer Abwägung mit dem Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit, die als Gemeinschaftsgut von hohem Rang einen Eingriff in dieses Grundrecht rechtfertigen könnte, bedarf es hier nicht, weil Anhaltspunkten für eine Gesundheitsgefährdung bei dem Angebot von Kinesiologie-Tapes fehlen.

Vorinstanzen:

LG Essen – Urteil vom 30. August 2017 – 42 O 20/17

OLG Hamm – Urteil vom 11. September 2018 – 4 U 134/17

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 3a UWG

Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

§ 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Fall 2 Nr. 1 UWG

Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Eine geschäftliche Handlung ist irreführend, wenn sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über folgende Umstände enthält:

1. die wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung wie Verfügbarkeit, Art, Ausführung, Vorteile, Risiken, Zusammensetzung, Zubehör, Verfahren oder Zeitpunkt der Herstellung, Lieferung oder Erbringung, Zwecktauglichkeit, Verwendungsmöglichkeit, Menge, Beschaffenheit, Kundendienst und Beschwerdeverfahren, geographische oder betriebliche Herkunft, von der Verwendung zu erwartende Ergebnisse oder die Ergebnisse oder wesentlichen Bestandteile von Tests der Waren oder Dienstleistungen;

§ 8 Abs. 1 UWG

Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht.

§ 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG

Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden mit Äußerungen Dritter, insbesondere mit Dank-, Anerkennungs- oder Empfehlungsschreiben, oder mit Hinweisen auf solche Äußerungen, wenn diese in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgen.

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.

Bundesgerichtshof, I-ZR-193/18

Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers – Schadensersatz

Der Arbeitgeber hat zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Erteilt er jedoch Auskünfte, ohne hierzu verpflichtet zu sein, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Andernfalls haftet der Arbeitgeber für Schäden, die der Arbeitnehmer aufgrund der fehlerhaften Auskunft erleidet.


Der im Jahr 2014 in den Ruhestand getretene Kläger war bei der Beklagten beschäftigt. Vor dem Hintergrund des zu Beginn des Jahres 2003 in Kraft getretenen Tarifvertrags zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im kommunalen öffentlichen Dienst (TV-EUmw/VKA) schloss die Beklagte mit einer Pensionskasse einen Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung. Im April 2003 nahm der Kläger an einer Betriebsversammlung teil, auf der ein Fachberater der örtlichen Sparkasse die Arbeitnehmer der Beklagten über Chancen und Möglichkeiten der Entgeltumwandlung als Vorsorge über die Pensionskasse informierte. Der Kläger schloss im September 2003 eine Entgeltumwandlungsvereinbarung mit Kapitalwahlrecht ab. Anfang 2015 ließ er sich seine Pensionskassenrente als Einmalkapitalbetrag auszahlen. Für diesen muss der Kläger aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2003 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung entrichten.


Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge von der Beklagten. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn vor Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung über das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Einführung einer Beitragspflicht auch für Einmalkapitalleistungen informieren müssen. In diesem Fall hätte er eine andere Form der Altersvorsorge gewählt.


Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Es kann offenbleiben, ob den Arbeitgeber nach – überobligatorisch – erteilten richtigen Informationen über betriebliche Altersversorgung im Wege der Entgeltumwandlung überhaupt weitere Hinweispflichten auf bis zum Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung erfolgende Gesetzesänderungen oder entsprechende Gesetzesvorhaben, die zulasten der Arbeitnehmer gehen, treffen. Jedenfalls setzte eine solche Verpflichtung voraus, dass der Arbeitnehmer konkret über diejenigen Sachverhalte informiert worden ist, die durch die (geplante) Gesetzesänderung zu seinen Lasten geändert wurden. Dies traf im vorliegenden Verfahren nicht zu. Auf der Betriebsversammlung ist über Beitragspflichten zur Sozialversicherung nicht unterrichtet worden. Daher konnte auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagten das Verhalten des Fachberaters der Sparkasse zuzurechnen ist.

Regelungen zur steuerlichen Behandlung von Erstausbildungskosten verfassungsgemäß

Dass Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) nicht als Werbungskosten abgesetzt werden können, verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Dies hat der Zweite Senat mit am 10.01.2020 veröffentlichtem Beschluss auf Vorlagen des Bundesfinanzhofs hin entschieden.

Zur Begründung hat er ausgeführt, dass es für die Regelung sachlich einleuchtende Gründe gibt. Der Gesetzgeber durfte solche Aufwendungen als privat (mit-)veranlasst qualifizieren und den Sonderausgaben zuordnen. Die Erstausbildung oder das Erststudium unmittelbar nach dem Schulabschluss vermittelt nicht nur Berufswissen, sondern prägt die Person in einem umfassenderen Sinne, indem sie die Möglichkeit bietet, sich seinen Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln und allgemeine Kompetenzen zu erwerben, die nicht zwangsläufig für einen künftigen konkreten Beruf notwendig sind. Sie weist eine besondere Nähe zur Persönlichkeitsentwicklung auf. Auch die Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Erstausbildungskosten auf einen Höchstbetrag von 4.000 Euro in den Streitjahren ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Sachverhalt

§ 9 Abs. 6 EStG nimmt Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, generell von dem Begriff der Werbungskosten aus. Die Vorschrift konkretisiert den allgemeinen Werbungskostenabzugstatbestand des § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG dahingehend, dass diese Aufwendungen in keinem Fall beruflich veranlasst und damit weder unbeschränkt abzugsfähig sind noch als negative Einkünfte in andere Veranlagungszeiträume zurück- oder vorgetragen werden können. Stattdessen mindern sie lediglich als Sonderausgaben – in den Streitjahren bis zur Höhe von 4.000 Euro, heute bis zur Höhe von 6.000 Euro – das zu versteuernde Einkommen in dem Jahr, in dem sie anfallen. Dagegen können Aufwendungen für weitere Ausbildungen und für Erstausbildungen, die im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden, wie andere Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen als Werbungskosten abzugsfähig sein, soweit sie beruflich veranlasst sind. Eine berufliche Veranlassung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Ein Werbungskostenabzug setzt nicht voraus, dass der Steuerpflichtige gegenwärtig bereits Einnahmen erzielt. Erforderlich ist, dass die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen.

Die Kläger der sechs Ausgangsverfahren begehrten jeweils die Anerkennung der Kosten für ihr Erststudium bzw. für ihre Ausbildung zum Flugzeugführer als Werbungskosten. In der Revisionsinstanz hat der Bundesfinanzhof alle Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die § 9 Abs. 6 EStG in der Fassung des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 7. Dezember 2011 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.

Wesentliche Erwägungen des Senats

I. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er bindet ihn an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit und das Gebot, die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. In Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG verpflichtet er den Staat, das Einkommen des Bürgers jedenfalls insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Der einfache Gesetzgeber bemisst die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach dem (die betriebliche/berufliche Sphäre betreffenden) objektiven und dem (die private Sphäre betreffenden) subjektiven Nettoprinzip. Bei der Bewertung und Gewichtung von Lebenssachverhalten im Schnittbereich zwischen beruflicher und privater Sphäre verfügt er verfassungsrechtlich – unter Beachtung sonstiger grundrechtlicher Bindungen – über erhebliche Gestaltungs- und Typisierungsspielräume.

II. Nach diesen Maßstäben ist § 9 Abs. 6 EStG in der verfahrensgegenständlichen Fassung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

1. § 9 Abs. 6 EStG bewirkt eine steuerliche Ungleichbehandlung von Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt (Erstausbildungskosten), mit Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen, zu denen auch Aufwendungen für zweite oder weitere Ausbildungen sowie Aufwendungen für eine erste Berufsausbildung oder ein Erststudium gehören können, die im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden.

a) Diese Differenzierung ist am Gleichheitssatz in seiner Eigenschaft als Willkürverbot zu messen. Einer Verschärfung des Maßstabs, weil sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung der Berufswahlfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auswirken kann, bedarf es nicht. § 9 Abs. 6 EStG hat keine objektiv berufsregelnde Tendenz. Entscheidend für den Zugang zu einer bestimmten Ausbildung oder Ausbildungsstelle ist deren Finanzierbarkeit durch die Auszubildenden und Studierenden. Die Finanzierbarkeit hängt maßgeblich davon ab, ob und in welcher Höhe den Betroffenen während der Ausbildung eigene Einkünfte oder eigenes Vermögen zur Verfügung stehen beziehungsweise ihnen Unterhaltsansprüche oder Ansprüche nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zustehen. Diese Finanzierungsmöglichkeiten sind unabhängig davon, ob Aufwendungen für die Ausbildung in spätere Veranlagungszeiträume vorgetragen werden können. Dies gilt auch für eine Kreditfinanzierung der Ausbildung, weil es für deren Inanspruchnahme darauf ankommt, wie potentielle Kreditgeber die Kreditwürdigkeit im Ausbildungszeitraum beurteilen.

b) Für die Zuordnung der Aufwendungen für eine Erstausbildung zu den Sonderausgaben gibt es sachlich einleuchtende Gründe.

aa) Der Gesetzgeber durfte diese Aufwendungen als wesentlich privat (mit-)veranlasst qualifizieren. Nach Auffassung des Gesetzgebers gehört die erste Berufsausbildung typischerweise zu den Grundvoraussetzungen für die Lebensführung, weil sie Vorsorge für die persönliche Existenz bedeutet und dem Erwerb einer selbstständigen und gesicherten Position im Leben dient. Er ordnet deshalb Aufwendungen für die erste Berufsausbildung ebenso wie Aufwendungen für Erziehung und andere Grundbedürfnisse schwerpunktmäßig den Kosten der Lebensführung zu.

Diese Wertung des Gesetzgebers ist nicht zu beanstanden. Die Erstausbildung oder das Erststudium unmittelbar nach dem Schulabschluss vermittelt nicht nur Berufswissen, sondern prägt die Person in einem umfassenderen Sinne, indem sie die Möglichkeit bietet, sich seinen Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln und allgemeine Kompetenzen zu erwerben, die nicht zwangsläufig für einen künftigen Beruf notwendig sind. Sie weist damit eine besondere Nähe zur Persönlichkeitsentwicklung auf.

Die Qualifikation der dafür erforderlichen Aufwendungen als durch die allgemeine Lebensführung (privat) veranlasst korrespondiert damit, dass eine Erstausbildung noch von der Unterhaltspflicht der Eltern umfasst ist. Diese schulden – in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht. Die bei mangelnder Leistungsfähigkeit der Eltern an die Stelle tretenden sozialrechtlichen Leistungen werden dementsprechend der Bildungsförderung und nicht der Arbeitsförderung zugerechnet.

bb) Der Gesetzgeber durfte auch den objektiven Zusammenhang mit einem konkreten späteren Beruf als typischerweise gering ausgeprägt bewerten. Die Regelung erfasst insbesondere rein schulische Ausbildungen und das Hochschulstudium unmittelbar im Anschluss an den zum Studium berechtigenden Schulabschluss. Die schulische Ausbildung und das Studium eröffnen regelmäßig eine Vielzahl von unterschiedlichen Berufsmöglichkeiten. Sie sind häufig breit angelegt, so dass erst zu Beginn oder während der Berufstätigkeit eine Spezialisierung stattfindet. Zudem gibt es zahlreiche Studiengänge, die nicht ohne weiteres in konkrete Berufsfelder münden, und umgekehrt Berufsfelder, für die es nicht maßgeblich auf ein bestimmtes Studium ankommt, sondern darauf, dass überhaupt ein Studium absolviert worden ist.

Der Veranlassungszusammenhang mit der ausgeübten Erwerbstätigkeit ist zwar gerade bei der Ausbildung zum Berufspiloten sehr konkret. Die Bundesregierung legt jedoch in ihrer Stellungnahme dar, dass es sich dabei um eine zahlenmäßig unbedeutende Sonderkonstellation handele. Die geringe Zahl spricht dafür, dass der Gesetzgeber diese Fälle in Ausübung seiner Typisierungskompetenz vernachlässigen durfte, weil er sich grundsätzlich am Regelfall orientieren darf und nicht gehalten ist, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen.

cc) Letztlich kommt es darauf jedoch nicht an. Denn auch bei einer stark auf einen bestimmten späteren Beruf ausgerichteten Erstausbildung liegt eine private Mitveranlassung vor. Dass eine berufliche Veranlassung überwiegt und den Schwerpunkt bildet, indiziert noch nicht zwangsläufig eine unbedeutende private Mitveranlassung und umgekehrt. Der Gesetzgeber durfte deshalb jedenfalls von gemischt veranlasstem Aufwand ausgehen, bei dem private und berufliche Veranlassungselemente untrennbar sind und den er daher systematisch den Sonderausgaben zuordnen durfte. Auch Erstausbildungen, die wie die Pilotenausbildung einen konkreten Veranlassungszusammenhang mit einer später ausgeübten Erwerbstätigkeit aufweisen, schaffen erstmalig die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensführung und vermitteln Kompetenzen, die allgemein die Lebensführung der Auszubildenden beeinflussen.

dd) Die Differenzierung zwischen Erstausbildungsaufwand und den Aufwendungen für Zweit- und weitere Ausbildungen hält einer gleichheitsrechtlichen Überprüfung ebenfalls stand. Für letztere richtet sich die Zuordnung zu den Werbungskosten nach den einfachrechtlichen Grundsätzen. Entscheidend ist mithin, ob im Einzelfall eine berufliche Veranlassung gegeben ist. Diese Regelung ist sachlich gerechtfertigt, weil die Gründe für eine Zweit- oder weitere Ausbildung so heterogen sind, dass sie sich einer typisierenden Erfassung als maßgeblich privat (mit-)veranlasst entziehen.

Unter die weiteren Ausbildungen fallen Fort- und Weiterbildungen für den bereits ausgeübten Beruf oder für eine Spezialisierung in der bisherigen Berufstätigkeit ebenso wie Umschulungen oder eine völlige berufliche Neuorientierung. Die Motive für eine Zweitausbildung können mithin sehr unterschiedlich sein. Da Zweitausbildungen nicht mehr in den Grenzbereich zwischen allgemeinbildender Schule und erstmaliger Erwerbstätigkeit fallen, fehlt ihnen zugleich das Erstausbildungen verbindende Element, dass sie Grundvoraussetzung für die persönliche Entwicklung und die Erlangung und Festigung einer gesellschaftlichen Stellung sind.

ee) Schließlich ist auch für die Differenzierung zwischen Erstausbildungen und Erststudiengängen innerhalb und außerhalb eines Dienstverhältnisses ein sachlich einleuchtender Grund gegeben. Das Bestehen eines Dienstverhältnisses hat zur Folge, dass die Auszubildenden zur Teilnahme sowohl an einer betrieblichen als auch an einer schulischen oder universitären Ausbildung verpflichtet sind. Gleichzeitig erhalten sie eine Vergütung, auch für den schulischen Teil der Ausbildung. Es ist deshalb nicht willkürlich, bei den Auszubildenden anfallende Ausbildungskosten (auch) als Aufwendungen zur Sicherung von Einnahmen aus dem Ausbildungsverhältnis zu bewerten. Zwar schafft auch die Erstausbildung, die innerhalb eines Dienstverhältnisses erfolgt, die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Lebensführung und vermittelt Kompetenzen, die allgemein die Lebensführung der Auszubildenden beeinflussen. Die im Rahmen des Ausbildungsdienstverhältnisses bereits aktuell ausgeübte Erwerbstätigkeit ist jedoch ein sachlicher Grund, der den Gesetzgeber berechtigt, zu differenzieren.

2. a) Die Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Erstausbildungskosten auf einen Höchstbetrag von 4.000 Euro in den Streitjahren verstößt nicht gegen das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums.

Der existenzielle Bedarf des Auszubildenden wird während der Erstausbildung grundsätzlich durch die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern gedeckt. Alternativ oder kumulativ erfolgt eine sozialrechtliche finanzielle Unterstützung, vorrangig durch Ansprüche auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Soweit die Auszubildenden/Studierenden eigenes Einkommen haben, wird das Existenzminimum durch den Grundfreibetrag abgedeckt. Er betrug in den Streitjahren 2004 bis 2008 jeweils 7.664 Euro. Zusätzlich wurden die Erstausbildungskosten in den Streitjahren nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG als Sonderausgaben bis zu einer Höhe von 4.000 Euro berücksichtigt; seit dem Veranlagungszeitraum 2012 gilt eine Höchstgrenze von 6.000 Euro.

Jedenfalls ein darüberhinausgehender Ausbildungsaufwand ist nicht dem Existenzminimum zuzurechnen. Vergleichsebene für die Quantifizierung des Existenzminimums ist das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau. Aufwendungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in einer Höhe, die den Höchstbetrag der danach abzugsfähigen Sonderausgaben überschreitet, sind weder von der Sozialhilfe noch von den Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz umfasst.

b) Die Höchstbetragsgrenze ist schließlich auch bei einer Würdigung von Erstausbildungsaufwand im Lichte betroffener Grundrechte, zu der der Gesetzgeber auch dann verpflichtet ist, wenn er diesen zulässigerweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuordnet, nicht zu beanstanden. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle bildet § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG die erforderlichen Kosten für eine eigene Erstausbildung realitätsgerecht ab. Bei der Pilotenausbildung handelt es sich um Sonderfälle, die nicht den typischen Fall der Erstausbildung darstellen. Im Übrigen ist es in weitem Umfang der freien Gestaltung des Gesetzgebers überlassen, wie er der objektiv-rechtlichen Wertentscheidung zugunsten eines freiheitlichen Berufs- und Ausbildungswesens Rechnung trägt. Art. 12 GG gebietet jedenfalls nicht eine uneingeschränkte steuerliche Entlastung wegen Erstausbildungsaufwand in beliebiger Höhe auf Kosten der Allgemeinheit. Insofern unterscheiden sich Ausbildungskosten etwa von erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten. Letztere sind unter dem besonderen Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG zwangsläufiger Aufwand, weil der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen nicht die „Vermeidbarkeit“ ihrer Kinder entgegenhalten darf. Für eine besonders kostspielige Erstausbildung gilt das jedenfalls nicht in demselben Maße. Bei der steuerrechtlichen Berücksichtigung von Ausbildungskosten darf der Gesetzgeber auch einbeziehen, dass der Staat die Ausbildung durch die Bereitstellung des öffentlichen Bildungswesens und durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bereits fördert.

Wie wähle ich die richtige Steuerklasse?

Hintergrund zum Merkblatt der Steuerklassenwahl

Unbeschränkt steuerpflichtige und nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten oder Lebenspartner haben die Wahl, ob beide in die Steuerklasse IV eingeordnet werden wollen, oder ob sie eine andere Möglichkeit, dass einer von ihnen nach Steuerklasse III und der andere nach Steuerklasse V besteuert wird, wählen. Die Steuerklassenkombination III/V ist so gestaltet, dass die Summe der Steuerabzugsbeträge beider Ehegatten oder Lebenspartner in etwa der zu erwartenden Jahressteuer entspricht, wenn der in Steuerklasse III eingestufte Ehegatte oder Lebenspartner ca. 60 % und der in Steuerklasse V eingestufte ca. 40 % des gemeinsamen Arbeitseinkommens erzielt.

Sollten die Einkommensverhältnisse von den vorgegebenen Verhältnissen abweichen, so kann es aufgrund des verhältnismäßig niedrigen Lohnsteuerabzugs zu Steuernachzahlungen kommen. Dementsprechend sind Steuerpflichtige mit der Steuerklassenkombination III/V stets zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet. Zur Vermeidung von Steuernachzahlungen können die Ehegatten oder Lebenspartner auch die Steuerklassenkombination IV/IV wählen. Bei der Kombination entfällt der höhere Steuerabzug bei dem Ehegatten oder Lebenspartner mit der Steuerklasse V sowie der niedrigere Steuerabzug für den anderen Ehegatten oder Lebenspartner mit der günstigeren Steuerklasse III. Ferner kann auch Steuerklassenkombination IV/IV mit Faktor gewählt werden.

Zur Erleichterung der Steuerklassenwahl enthält das Merkblatt des BMF Tabellen, mit welchen, anhand der Höhe der monatlichen Arbeitslöhne, diejenige Steuerklassenkombination mit der geringsten Lohnsteuer ermittelt werden kann. Freibeträge beim Lohnsteuerabzug bleiben in diesen Tabellen allerdings unberücksichtigt. Darüber hinaus weist das Merkblatt darauf hin, dass vom Finanzamt (FA) Einkommensteuer-Vorauszahlungen festgesetzt werden können, falls voraussichtlich die Jahressteuerschuld die einzubehaltende Lohnsteuer um mehr als 400 € im Kalenderjahr übersteigt.

Auswirkungen der Steuerklassenwahl oder des Faktorverfahrens

Steuerpflichtige sollen bei der Wahl der Steuerklassenkombination oder der Anwendung des Faktorverfahrens auch daran denken, dass die Entscheidung über die Steuerklasse auch Auswirkungen auf die Höhe von

  • Entgelt-/Lohnersatzleistungen,

  • Arbeitslosengeld I,

  • Unterhaltsgeld,

  • Krankengeld,

  • Versorgungskrankengeld,

  • Verletztengeld,

  • Übergangsgeld,

  • Elterngeld,

  • Mutterschaftsgeld

  • oder die Höhe des Lohnanspruchs bei der Altersteilzeit

haben kann. Aufgrund dessen gibt das BMF den Hinweis, dass eine vor Jahresbeginn getroffene Steuerklassenwahl bei der Gewährung von Lohnersatzleistungen von der Agentur für Arbeit grundsätzlich anerkannt wird. Ein unterjähriger Wechsel der Steuerklasse kann jedoch bei einer Zahlung von Entgelt/Lohnersatzleistungen zu unerwarteten Auswirkungen führen, so dass die Auswirkungen der Steuerklassenwahl auch bei Höhe der Entgelt-/Lohnersatzleistung von den zuständigen Sozialleistungsträgern bzw. den Arbeitgebern berücksichtigt werden sollten.

Antrag auf Wechsel der Steuerklasse

Anträge für einen Steuerklassenwechsel oder zur Anwendung des Faktorverfahrens sind an das Wohnsitz-FA zu richten, also das FA, in dessen Bezirk die Ehegatten oder Lebenspartner zum Zeitpunkt der Antragstellung ihren Wohnsitz haben. Für das Kalenderjahr 2020 gilt die im Kalenderjahr 2019 verwendete Steuerklasse grundsätzlich weiter. Eine andere Steuerklasse kann bis zum Ablauf des Kalenderjahres 2019 beim zuständigen FA beantragt werden.

Im Laufe des Jahres 2020 kann ein Steuerklassenwechsel oder die Anwendung des Faktorverfahrens grundsätzlich nur einmal vorgenommen werden, und zwar spätestens bis zum 30.11.2020. Eine Ausnahme kann im Laufe des Jahres gewährt werden, wenn beispielsweise ein Ehegatte keinen Arbeitslohn mehr bezieht, sich die Ehegatten auf Dauer getrennt haben oder ein Ehegatte wieder anfängt, Arbeitslohn zu beziehen.

Ein Antrag auf Wechsel der Steuerklasse ist grundsätzlich gemeinsam von beiden Ehegatten oder Lebenspartnern auf amtlichem Vordruck zu stellen, wohingegen ein Wechsel der Steuerklassenkombination III/V in IV/IV auch auf Antrag nur eines Ehegatten bzw. Lebenspartners erfolgen kann.

Anwendung der Tabellen und Steuerklassenwahl

Zur Ermittlung der Lohnsteuer bei einer Steuerklassenwahl können die vom BMF bereitgestellten Tabellen angewendet werden. Die Tabelle I ist zu nutzen, wenn der höher verdienende Ehegatte oder Lebenspartner sozialversichert ist, wohingegen die Tabelle II anzulegen ist, sobald der höher verdienende Ehegatte oder Lebenspartner in keinem Zweig sozialversichert ist und keinen steuerfreien Zuschuss des Arbeitgebers zur Kranken- und Pflegeversicherung erhält. Abweichende sozialversicherte Verhältnisse oder Besonderheiten können zu unzutreffenden Ergebnissen führen. In den meisten Fällen soll sich nach den Ausführungen des Merkblatts kein anderes Ergebnis einstellen.

Durch das Merkblatt wird Steuerpflichtigen die Möglichkeit eingeräumt zu berechnen, welche Steuerklasse oder welches Verfahren zur Berechnung für den Arbeitnehmer vorteilhaft ist. Die zur Verfügung gestellten Tabellen sind leicht verständlich, und es werden die unterschiedlichen Möglichkeiten der Steuerklassenwahl oder des Faktorverfahrens ausführlich dargestellt. Steuerpflichtigen oder steuerlichen Beratern kann diese Arbeitshilfe daher nur empfohlen werden.

Steuerberater und Dipl.-Volkswirt Volker Küpper

Auch unter Verschwägerten gelten die Grundsätze für Familienangehörige

Sachverhalt im Besprechungsfall

Die Klägerin (A) errichtete ein Wohn- und Geschäftshaus, welches teilweise für betriebliche und private Zwecke genutzt wird. Zur Finanzierung dieser Immobilie wurden A auch mehrere Darlehen aus dem Familien- und Bekanntenkreis gewährt. Des Weiteren erhielt die A auf dem betrieblichen Konto zwei Überweisungen aus Russland von ihrem Schwager (K) und von einem Dritten (G), zu welchem kein Verwandtschaftsverhältnis besteht. Den Zahlungen liegen Darlehensverträge zugrunde, welche den Beginn der Rückzahlung nach rund 20 Jahren innerhalb von 15 Jahren in gleichmäßigen Raten vorsehen. Die erforderliche und vom Vertragsformular vorgesehene Passage „Zinssatz und Zinszahlungen“ wurde jeweils gestrichen. A setzte beide Darlehen zum Nominalbetrag an. Später legte A dem Finanzamt (FA) zwei Nachtragsvereinbarungen vor, in denen unter Bezugnahme auf die ursprünglichen Darlehensverträge eine nach dem Streitzeitraum beginnende Verzinsung von 2 % festgelegt wurde. Später reichte A Vereinbarungen nach, welche eine rückwirkende Verzinsung auf den Vertragsschluss von 1 % vorsahen. Gleichwohl ging das FA davon aus, dass die Darlehen als unverzinsliche Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG abzuzinsen sind. Einspruch und Klage blieben erfolglos, der BFH folgte dem zum Teil nicht.

Zuordnung eines Darlehens zum Betriebsvermögen

Darlehensverbindlichkeiten stellen ein Betriebsvermögen dar, wenn die zur Verfügung gestellten Kreditmittel für betriebliche Zwecke, insbesondere zum Erwerb von Wirtschaftsgütern, verwendet werden. Die Person des Gläubigers oder dessen Beweggründe für die Darlehenshingabe sind regelmäßig unbeachtlich. Dies ist anders, sobald ein Darlehen von einem nahen Angehörigen gewährt wird. In diesem speziellen Fall erfordert die Zuordnung zum Betriebsvermögen im Hinblick auf den bei Angehörigen vielfach fehlenden natürlichen Interessengegensatz darüber hinausgehend, dass der zugrundeliegende Vertrag unter Fremdvergleichsaspekten steuerrechtlich anzuerkennen ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass die vertraglichen Hauptpflichten klar und eindeutig vereinbart werden und ebenso dem entsprechend Vereinbarten durchgeführt werden. Jedoch schließt nicht jede geringfügige Abweichung einzelner Sachverhaltsmerkmale vom Üblichen eine steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus. Vielmehr sind einzelne Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, inwiefern sie den Rückschluss auf eine privat veranlasste Vereinbarung zulassen. Indiz für eine solche Zuordnung der Vertragsbeziehung zum betrieblichen Bereich ist insbesondere, inwieweit der Vertrag sowohl nach seinem Inhalt als auch nach seiner tatsächlichen Durchführung dem entspricht, was zwischen Fremden üblich ist. In diesem Zusammenhang erlangt der Umstand, wie die Vertragschancen und -risiken in fremdüblicher Weise verteilt sind, eine wesentliche Bedeutung. Speziell bei Darlehensverträgen hängt die Intensität der jeweiligen Prüfung des Fremdvergleichs vom Anlass der Darlehensaufnahme ab. Hierbei unterliegen Vertragsbeziehungen, bei welchen das Darlehen einer Finanzierung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern dient, einer eher großzügigen Fremdvergleichsprüfung. Nach Ansicht des BFH gelten diese Grundsätze grundsätzlich auch für Vertragsbeziehungen zwischen verschwägerten Personen. Letztendlich konnte der BFH nicht anhand der vom FG getroffenen Feststellungen beurteilen, ob jene Darlehensgewährung durch K fremdüblich war. An dieser Einschätzung ändert für den BFH auch die Tatsache nichts, dass A zeitgleich einen vereinbarungsidentischen Vertrag mit G geschlossen hat. Denn es ist insoweit unklar, ob dieser Vertrag als objektiver Fremdvergleichsmaßstab für die Vertragsbeziehung zu K dienen kann. Daher verwies der BFH den Rechtsstreit zurück an das FG.

Abzinsung der Darlehensverbindlichkeit gegenüber G

Steuerrechtlich sind Verbindlichkeiten grundsätzlich mit einem Zinssatz von 5,5 % abzuzinsen. Das Abzinsungsgebot gilt nicht für Verbindlichkeiten, welche u.a. verzinslich sind. Die Abstandnahme vom Abzinsungsgebot erfordert allerdings keine durchgängige Verzinsung. Eine Abzinsung selbst kann dann entfallen, wenn die Verzinsung nur für einen kurzen Teil der Gesamtlaufzeit vorgesehen ist. In diesem Fall besteht keine Abzinsungspflicht, wenn ein Darlehen zunächst unverzinslich hingegeben wurde und erst später eine Verzinsung vereinbart wird. Denn die Abzinsung berücksichtigt auch zukünftige Zinsaspekte, so dass der Vorteil einer Unverzinslichkeit bei geänderter Vereinbarung nicht mehr besteht. Die Vereinbarung mit einer Verzinsung von 2 % soll erst nach den Streitjahren gelten und lässt die Abzinsung erst zum Bilanzstichtag nach der Vereinbarung – aufwandswirksam – entfallen. Ferner können lediglich werterhellende Umstände steuerliche Rückwirkung haben. Wertaufhellend sind aber nicht solche Umstände, welche entweder erst nach dem Bilanzstichtag eingetreten sind oder erst im Anschluss an die Bilanzaufstellung erkennbar sind.

Unerheblich ist hierbei, inwieweit einer späteren Änderungs- oder Aufhebungsvereinbarung zivilrechtliche Rückwirkungen zukommen sollen oder nicht. Demzufolge kann die rückwirkend vereinbarte Verzinsung bilanzsteuerrechtlich erst zu dem Stichtag Berücksichtigung finden, welcher der zivilrechtlichen Gestaltung folgt, mithin erst nach den Streitjahren. Denn eine steuerliche Rückwirkung ist ausgeschlossen, wenn die Vertragsparteien im Wege freier Parteivereinbarung rückwirkend schuldrechtliche Vertragsverhältnisse aufheben, ändern oder begründen.

Höhe des Zinssatzes für eine Abzinsung

Der BFH bestätigt seine bisherige Ansicht, dass die Höhe des Zinssatzes von 5,5 % im Jahr 2010 verfassungsgemäß ist. Im Jahr 2010 hat sich noch kein strukturelles niedriges Marktzinsniveau verfestigt. Aufgrund dessen hat der Gesetzgeber unter Berücksichtigung einer angemessenen Beobachtungsphase, im Interesse der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung an dem statisch-typisierenden Zinssatz von 5,5 % festzuhalten. Trotz einer bereits längerfristig zu verzeichnenden Absenkung des gesamten Zinsniveaus gilt zu berücksichtigen, dass der gemessen am Normzweck des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG relevante Fremdkapitalmarktzinssatz im Dezember 2010 für die vorliegend einschlägigen Parameter (Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften bis 1 Mio. € bei mehr als fünfjähriger Laufzeit/Neugeschäft) sich im Gegensatz zum aktuellen Niveau (1,85 %; Dezember 2018) noch nicht als dramatischer Abfall zum gesetzlichen Zinssatz darstellt. Ferner war der Rückzahlungsanspruch für G nicht besichert. Hinzu kommt, dass der von der Deutschen Bundesbank nach Maßgabe der Rückstellungsabzinsungsverordnung ermittelte und monatlich bekanntgegebene Abzinsungssatz bei einer Laufzeit von 34 bis 35 Jahren im Dezember 2010 noch ca. 5,10 % betrug (Dezember 2018: 2,51 %) und somit ein nach wie vor durchaus realitätsgerechtes Vergleichsbild zum gesetzlichen Zinssatz von 5,5 % gezeichnet wurde.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BFH schafft Klarheit hinsichtlich geschlossener Verträge zwischen verschwägerten Personen: Auch für diese gelten die Grundsätze zwischen nahen Angehörigen und müssen also dem Fremdvergleich standhalten. Zudem können zivilrechtliche rückwirkende Vereinbarungen grundsätzlich steuerlich keine Rückwirkung entfalten. Schließlich hat der BFH den Zinssatz für die Abzinsung von 5,5 %, jedenfalls für 2010, als rechtmäßig eingestuft. In der Praxis sollten diese Grundsätze bei bestehenden Verträgen zwischen Verschwägerten geprüft werden, um künftigen Ärger mit dem Finanzamt zu vermeiden.

RA und StB Axel Scholz, FA für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht

Wann beginnt die Herstellung bei einem Investitionsabzugsbetrag?

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer aktuellen Entscheidung dazu Stellung genommen, ab welchem Zeitpunkt von einem Beginn der Herstellung für die Auflösung eines IAB auszugehen ist.

Sachverhalt im Besprechungsfall

Der Unternehmer U hatte in seiner Bilanz einen Sonderposten mit Rücklageanteil gebildet, welchen er steuerlich als Rücklage gem. § 6b EStG berücksichtigte. Im Bilanzbericht wurde erläutert, dass mit der Investition, auf welche die Rücklage zu übertragen ist, im Wirtschaftsjahr nach dem Bilanzstichtag begonnen worden ist. Aus diesem Grund löste U die §-6b-Rücklage nicht auf, sondern behielt sie in Höhe des ursprünglichen Betrags bei. Die Rücklage wurde auf ein in einem späteren Jahr fertiggestelltes Betriebsgebäude übertragen. Für dieses Bauvorhaben beauftragte U im folgenden Wirtschaftsjahr einen Statiker. Der Bauantrag wurde von einem Architekten ebenfalls in diesem Wirtschaftsjahr gezeichnet und von U bei der Baubehörde eingereicht. U hat erklärt, er ist bereits im Frühjahr des Folgejahres zu dem Ergebnis gekommen, dass er ein neues Betriebsgebäude benötigt. Nach internen Vorbesprechungen hat er dem Architekten in diesem Wirtschaftsjahr mündlich den Planungsauftrag erteilt. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die §-6b-Rücklage nicht auf das Gebäude übertragen werden kann, da der Bauantrag nicht zum Ende der vierjährigen Investitionsfrist eingereicht worden war. Somit ist mit der Herstellung zu diesem Zeitpunkt nicht begonnen worden. Die Investitionsfrist kann deshalb nicht über diesen Bilanzstichtag hinaus verlängert werden. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Der BFH folgte dem.

Voraussetzungen des § 6b EStG

Der Steuerpflichtige kann bis zu einer Höhe der Rücklage von den jeweiligen Anschaffungs- oder Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter, welche in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt worden sind, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung abziehen. Ist eine Rücklage jedoch am Schluss des vierten bzw. bei Gebäuden, mit deren Herstellung bis zu diesem Zeitpunkt schon begonnen wurde, sechsten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen.

Beginn der Herstellung

Der Herstellungsbeginn ist anzunehmen, wenn das konkrete Investitionsvorhaben „ins Werk gesetzt“ wurde. Dieser Zeitpunkt kann schon vor den eigentlichen Bauarbeiten liegen. Ein sicheres Indiz für einen Herstellungsbeginn ist allerdings die Stellung des Bauantrags, es sei denn, das hergestellte Gebäude stimmt nicht mit dem genehmigten Gebäude überein. Das „Ins-Werk-Setzen“ und damit der Beginn der Herstellung müssen aber nicht zwingend mit der Stellung eines Bauantrags verbunden sein. Auch Handlungen in dessen Vorfeld können ausreichen, wobei die Einzelheiten bislang nicht endgültig geklärt sind. Ein Vertrag in der (bloßen) Entwurfsphase reicht jedoch noch nicht aus. Unter Beachtung der bilanzsteuerlichen Grundsätze kann auch die Planung als Teil der Herstellung zu berücksichtigen sein. Schließlich gehören Planungskosten ebenfalls zu den Herstellungskosten eines Gebäudes und sind selbst dann zu aktivieren, wenn die Bauarbeiten noch nicht begonnen haben. Planung und Errichtung eines Bauwerks bilden einen einheitlichen Vorgang. Allerdings genügt es im Rahmen des § 6b EStG nicht, dass (erste) Herstellungskosten erstmals im Zusammenhang mit dem späteren Objekt entstehen, welche zu aktivieren sind. Denn die Begriffe „Herstellungskosten i.S.d. § 6 EStG“ und „Herstellungsbeginn i.S.d. § 6b EStG“ sind nicht deckungsgleich; sie verfolgen unterschiedliche Ziele. Der Begriff der Herstellungskosten betrifft zum einen die Abgrenzung zwischen aktivierungspflichtigen Aufwendungen (die sich nur im Umfang der jährlichen Absetzungen für Abnutzung gewinnmindernd auswirken) und zum anderen laufende (allgemeine) Betriebsausgaben. Im Gegensatz dazu dient die Regelung über den „Beginn der Herstellung“ gem. § 6b Abs. 3 Satz 3 EStG dazu, die Regelinvestitionsfrist von vier Jahren auf sechs Jahre zu verlängern. Dafür bedarf es einer konkreten und (objektiv) nachvollziehbaren Investitionsentscheidung, welche mit der Formel „ins Werk gesetzt“ umschrieben wird.

Anwendung im Besprechungsfall

Vor diesem Hintergrund hat U trotz erster Maßnahmen noch kein konkretes Objekt geplant, da U bis zum Ablauf der Investitionsfrist noch keine Entwurfsplanung vorgenommen hatte und die von U vorgetragenen Tätigkeiten (Aufmaß des Gebäudebestands, Vorplanungen, Vorbesprechungen über das weitere Vorgehen) als (reine) Vorbereitungsarbeiten zu beurteilen sind. Die Reinvestitionsrücklage war somit gewinnerhöhend aufzulösen und der Gewinn dieses Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagebetrags zu erhöhen. Die Höhe dieses Gewinnzuschlags ist nach Ansicht des BFH verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die verfassungsrechtlichen Einwendungen, die wegen des inzwischen nachhaltig gesunkenen Marktzinsniveaus gegen die gesetzliche Zinssatzhöhe an sich erhoben werden, können jedenfalls für das Streitjahr 2009 wie auch die im Rahmen des Gewinnzuschlags zu betrachtenden Jahre 2005 bis 2008 nicht gelten. Denn bis zum Jahr 2009 hat sich noch kein strukturelles Niedrigmarktzinsniveau verfestigt, welches den Gesetzgeber unter Berücksichtigung einer angemessenen Beobachtungsphase nicht weiterhin dazu berechtigt hätte, im Interesse der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung an dem statisch-typisierenden Zinssatz von 6 % bei Berechnung des Gewinnzuschlags festzuhalten.

Praxishinweis

Der BFH hat mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung zur Höhe verschiedener steuerlich relevanter Zinssätze weiter konkretisiert. Während der BFH die Aussetzungs- und Festsetzungszinsen ab dem Veranlagungszeitraum 2012 mit 6 % p.a. als verfassungswidrig eingestuft und dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt hat, ist der BFH für den Gewinnzuschlag nach § 6b EStG bis einschließlich 2009 anderer Auffassung: Bis Ende 2009 ist der Zinssatz von 6 % p.a. nicht zu beanstanden. Dies sollte bei der möglichen Auflösung von IABs bedacht werden, allerdings sollte auch abgewartet werden, ob gegen diese Entscheidung seitens des Klägers Verfassungsbeschwerde zum BVerfG eingelegt wird, um diese Ansicht des BFH vom höchsten deutschen Gericht überprüfen zu lassen.

RA und StB Axel Scholz, Fa für Steuerrecht und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht